Picky Eating

Ich habe sehr lange mit mir gehadert, ob ich was zu diesem Thema sagen möchte. Es ist für mich sehr persönlich und aus irgendeinem Grund fällt es mir schwerer, darüber zu sprechen als z. B. meine Depressionen oder andere Dinge, die mich betreffen. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon oft negative Reaktionen darauf erlebt habe oder im Internet hämische Kommentare dazu gelesen habe. Gerade deshalb denke ich aber auch, dass es nicht schadet, das Thema mal ein bisschen in den Raum zu werfen und andere darauf hinzuweisen. Ich hatte auch tatsächlich schon einmal einen Thread auf Twitter zu dem Thema vorbereitet und mich dann doch nicht getraut, ihn zu veröffentlichen. Nach langem Überlegen habe ich nun also beschlossen, das Thema auf meinen Blog zu ziehen. Es geht in diesem Beitrag also um Picky Eating, denn ich bin sehr krüsch (wählerisch, ausschließlich aufs Essen bezogen), wie wir hier im Norden sagen.

CNs: Essen, Essstörungen

Was genau bedeutet Picky Eating?

Auf den Punkt gebracht kann man erst einmal sagen, dass Picky Eating, wenn es extreme Formen annimmt, eine Essstörung ist. Aber Achtung: Nicht jeder „Picky Eater“ hat unbedingt gleich eine Essstörung. Es kommt im Endeffekt vor allem darauf an, ob a) ein Leidensdruck besteht und ob b) es trotzdem noch möglich ist, sich ausgewogen genug zu ernähren, um den Körper mit den nötigen Nährstoffen zu versorgen. Extreme Formen von Picky Eating werden im englischsprachigen Raum auch als ARFID (avoidant/restrictive food intake disorder) bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum ist die Erkrankung kaum bekannt.

Aber was genau ist das nun eigentlich? Picky Eating bedeutet, dass man eben sehr wählerisch (wir Norddeutschen sagen »krüsch«) im Bezug aufs Essen ist. Das kann daran liegen, dass man den Geschmack von vielen Dingen nicht mag, es kann aber auch so weit gehen, dass man bestimmte Dinge nicht einmal probieren kann – zum Beispiel wegen des Geruchs oder der Konsistenz eines bestimmten Lebensmittels.

Bei Kindern kommt das relativ häufig vor. Nicht umsonst gibt es in Restaurants meistens eine „Kinderkarte“. In vielen Fällen „verwächst“ sich das irgendwann. Geschmack ändert sich bekanntlich alle paar Jahre und mit zunehmendem Alter verringert sich die Anzahl der Geschmacksknospen auf der Zunge, so dass man meistens, je älter man wird, weniger „empfindlich“ ist, was Essen angeht.

In manchen Fällen „verwächst“ es sich aber auch nicht und so gibt es auch Erwachsene, die immer noch „Picky Eater“ sind (oder bei denen es in schweren Fällen wie gesagt sogar eine Essstörung ist/wird).

Was bedeutet Picky Eating im Alltag?

Im Alltag kann das ziemlich stressig sein, aus unterschiedlichen Gründen. Ich erzähle jetzt mal ein bisschen aus meinem Leben, da es wie gesagt ein persönliches Thema ist. Ich esse schon wirklich extrem viele Sachen nicht, habe aber trotzdem den „Luxus“, dass ich zumindest meinen Nährstoffbedarf relativ gut decken kann, da ich Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Obst und, im kleinen Rahmen, auch Gemüse esse. Das war aber auch nicht immer so. Als Kind habe ich nur einen Bruchteil der Dinge gegessen, die ich heute esse – und wie gesagt, es ist heute noch ziemlich wenig. Problematisch ist bei mir z. B. gekochtes Gemüse. In 99% aller Fälle kann ich es einfach nicht essen, mir wird teilweise sogar schlecht davon. Tomaten sind gekocht lecker, mit Paprika kann ich auch noch leben, dann hört es aber auch eigentlich schon wieder auf. Roh mag ich noch gerne Gurken und Salat. Viel mehr finde ich in der Gemüsesparte dann auch schon nicht mehr.

Wenn man für sich selbst kocht, kann man ja meistens noch irgendwie ganz gut damit arbeiten. Meine Küche ist nicht sehr abwechslungsreich, aber ich habe Sachen, die ich mag und die werden eben regelmäßig durchgetauscht. Ich kann nur nicht gut improvisieren und Rezepte sind für mich oft schwer umsetzbar, weil ich zu viele Zutaten weglassen oder ersetzen müsste. Was eben auch nicht einfach ist, wenn man so wählerisch ist.

Schwieriger wird es, wenn man z. B. irgendwo zu Besuch ist. Jetzt im Erwachsenenalter ist auch das besser; in meinem Umfeld wissen die meisten Leute Bescheid und es wird akzeptiert. Dafür bin ich sehr dankbar. Freund*innen kochen vielleicht eher nicht ihre ausgefallensten Gerichte, wenn ich dabei bin oder ich weiß vorher Bescheid, dass ich mir etwas anderes mitnehmen oder vorher essen kann – kein Problem. Als Kind war das schwieriger; wenn ich in anderen Familien mitgegessen habe, habe ich oft Ausreden gefunden, dass ich nicht so viel Hunger habe, dass ich mir den Magen verstimmt habe oder dass ich etwas nicht vertrage, weil ich Angst hatte, dass es als unhöflich gewertet wird, wenn ich ein bestimmtes Essen nicht mag – oder nichts von dem mag, was da auf dem Tisch steht. Irgendwann habe ich die Umgehungsstrategie für mich entdeckt, das Essen in solchen Fällen, wenn niemand hinsieht, einfach so sehr zu versalzen, dass ich nur noch das Salz wahrnehme und nicht den Eigengeschmack des Essens. Funktioniert aber auch nur bei Sachen, von denen mir nicht unmittelbar schlecht wird. Inzwischen komme ich aber nicht mehr oft in solche Situationen. Litcamps sind in der Hinsicht meistens etwas schwierig für mich, wegen des veganen Caterings (ich mag da zu viele Sachen nicht), aber inzwischen weiß ich das und nehme mir was anderes zu essen mit, kein Ding.

Restaurantbesuche können der Horror sein

Ich bin ein Mensch, der gerne Essen geht. Wirklich gerne. Aber: Ich muss vorher die Karte kennen. Im Büro wissen zum Glück alle Bescheid und sind da sehr lieb, ich darf vorher immer erstmal gucken, ob es was gibt, was ich auch mag. Wenn ich 1-2 Gerichte finde, bin ich ja schon zufrieden. Leider ist das aber nicht immer möglich. Asiatisch (mit Ausnahme von Indisch, das mag ich ganz gerne) ist z. B. oft schwierig für mich, zumindest die Sachen, die ich mir angesehen habe (Chinesisch, Vietnamesisch, Japanisch, Thai … letzteres geht manchmal noch ganz gut, da finde ich manchmal Currys, die okay sind). Leider wird das dann manchmal so verstanden, dass das mit irgendwelchen rassistischen Vorurteilen belastet wäre – und ja, bei manchen Leuten ist das sicher so. Mein Problem ist hingegen, dass die Gerichte, soweit ich es bisher erlebt habe, sehr Gemüse lastig sind. Was nun einmal ein Problem ist, wenn man quasi kein gekochtes Gemüse mag …

Mein Tiefpunkt war, als ich vor ein paar Jahren bei einem Essen war, bei dem einfach beschlossen wurde, etwas von allem zu bestellen, so dass jeder alles probieren konnte. Ein sehr cooles Prinzip, wenn man nicht leider die Person ist, die vorher gegessen hat, weil es nicht ein einziges Gericht auf der Karte gab, das einem ohne 300 Extrawünsche schmecken würde. Ich bin auch selbst Schuld, ich hätte einfach etwas sagen sollen. Aber wie sagt man (fast) fremden Menschen, dass man Picky Eater ist und quasi nichts auf der Karte mag? In der Konsequenz habe ich den Großteil des Essens auf der Toilette verbracht und geheult, weil ich mich so sehr geschämt habe. Das hat mich einfach ziemlich getriggert und ich habe für mich die Konsequenz daraus gezogen, nur noch mit Fremden essen zu gehen, wenn ich Einfluss darauf habe, wohin es geht bzw. ich in dem entsprechenden Lokal etwas zu essen finden würde.

(Die Organisatorin war übrigens sehr nett, ich habe nichts gegessen und musste auch nichts bezahlen. Aber es war trotzdem eine belastende Situation für mich).

Vorurteile und ignorante Kommentare

Und jetzt der Grund, wieso mir das Thema so wahnsinnig schwer fällt: Es ist einfach mit Vorurteilen belastet. Denn es kommen nun einmal oft Kommentare wie „reiß dich zusammen“, „probieren wird ja wohl gehen“, „in anderen Ländern wären sie froh, wenn sie so viel zu Essen hätten“ und „ich hab auch nicht immer Bock, xy zu essen, aber man kann ja nicht nur Nudeln essen“. Und ja, das meiste stimmt auch irgendwie. Aber Picky Eater KÖNNEN manchmal bestimmte Sachen nicht essen und manchmal nicht einmal probieren (ich z. B. könnte niemals Rotkohl probieren, mir wird bereits von dem Geruch schlecht und mir vergeht der Appetit, wenn es vor mir auf dem Tisch steht). Und irgendwie scheint bei vielen Leuten das Vorurteil zu bestehen, man hätte einfach keinen Bock, was zu essen oder zu probieren. Newsflash: Niemanden nerven unsere Extrawünsche und Probleme in der Hinsicht mehr als uns selbst. Denn es ist aus oben schon beschriebenen Gründen einfach unangenehm. Und oft wünschen wir uns selbst auch, dass unsere Ernährung abwechslungsreicher sein könnte, leider ist das aber nicht so einfach.

Wenn ihr also Kommentare darüber machen wollt, wie pingelig jemand ist, dass das ein Luxusproblem ist etc.: Verkneift es euch einfach.

Genauso wäre es toll, einfach auf Aussagen zu verzichten, wie leicht doch jede*r vegan leben könnte, man müsste ja nur auf dieses oder jenes verzichten. (Wenn ich versuchen würde, mich vegan zu ernähren, könnte ich noch Nudeln, Kartoffeln, Reis und ein bisschen Obst und meine ca. 4 Gemüsesorten essen, that’s it. Dazu dürfte ich dann eine Reihe Nahrungsergänzungsmittel schlucken, weil ich meinen Nährstoffhaushalt vollkommen zerstören würde, so ohne Fleisch/Fisch und Milchprodukte).

Genauso sinnlos sind auch Kommentare darüber, wie einfach es doch ist, frisch zu kochen und nicht auf Fertigprodukte zurückzugreifen. Wie gesagt: Improvisieren oder nach Rezept kochen ist als Picky Eater nicht immer einfach.

Ich will mit diesem Blogbeitrag auch eigentlich gar nichts Bestimmtes erreichen, außer vielleicht, dass vor ignoranten Kommentaren ein bisschen mehr nachgedacht wird. Auch wenn die, die diese Kommentare reißen, in der Regel wahrscheinlich die sind, die es sowieso nicht interessiert. Aber vielleicht hilft dieser Blogbeitrag ja trotzdem irgendjemandem, egal auf welche Weise.

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